Am 10.01.2021 stand Arthur Smith in Tennessee nach dem Spielende für einen kurzen Moment wie versteinert da. Es war sein letztes Spiel als Offensive Coordinator, und lange Zeit sah es gar nicht danach aus.
Die Titans spielten in der Regular Season eine fantastische Saison und standen mit vollem Recht im AFC Wild Card Game gegen die Baltimore Ravens. Schon in Woche 11 konnten sie sich mit 30-24 in der Overtime gegen Baltimore durchsetzen, und auch im Jahr davor überrannten sie wortwörtlich Baltimore. Doch an diesem Tag sollte alles anders kommen.
Die Saison 2020/2021 war die Corona-Saison, und so waren die Plätze im Nissan Stadium in Tennessee nur spärlich besetzt. Trotzdem sahen die Fans der Titans einen furiosen Start im ersten Quarter. Das Team der Titans, mit vielen uns bekannten Spielern wie Jonnu Smith, Anthony Firkser, Rashaan Evans und MyCole Pruitt, hatte die Offensive der Ravens gut im Griff und hatte ihre eigene Offensive voll geladen. Schon im zweiten Drive diktierte Ryan Tannehill mit 70 Passing Yards über das ganze Feld. A. J. Brown vollendete diesen Drive mit einem One-Handed Catch gegen Marlon Humphrey.
Auch Ex-Falcon Anthony Firkser war voll involviert im Passing Game der Titans. Im ersten Quarter kam er auf 2 Catches für 44 Yards. Am Ende des ersten Quarters erhöhte man per Field Goal sogar auf eine 10-0 Führung. Man arbeitete sich wieder gut über das Feld im Passing Game und konnte nur am Ende mit Derrick Henry am Boden nicht das First Down erreichen. Stephen Gostkowski als erfahrener Kicker verwandelte indes aus 45 Yards. Bis hierhin lief alles glatt für die Titans, doch nach dem ersten Quarter sollte für lange Zeit nichts mehr passieren.
Die große Stärke vom Team aus Tennessee war über die letzten Jahre und dieser Saison hinweg der Einsatz von Derrick Henry und Co. im Running Game. Selbst die Baltimore Ravens haben das in den letzten Begegnungen sehr heftig zu spüren bekommen. Schon vor dem Spiel kündigte das Coaching Staff der Ravens an, Maßnahmen ergreifen zu wollen dagegen. Zur Halbzeit stand Derrick Henry bei 10 Versuchen mit 18 Yards. Bedeutet im Schnitt 1,8 Yards pro Versuch. Ein Tiefpunkt seiner Karriere. An der Seitenlinie machte sich auch deutlicher Frust bei ihm breit.
Die Umstellung auf Einseitigkeit
In der zweiten Halbzeit versuchte Tennessee, das Running Game mehr zu featuren. Jeremy McNichols und Darrynton bekamen ihre Versuche, und Derrick Henry lief weiter gegen die Front Seven der Ravens an. Doch es nützte nichts. Am Ende verließ Henry das Feld mit 40 Rushing Yards, was einem Schnitt von 0,9 Yards pro Versuch entspricht. Erst gegen Ende des 4. Quarters gelang es, erstmals ein First Down mit einem Laufspiel zu erzielen. Die Tennessee Titans erholten sich in diesem Spiel nicht mehr und verloren es am Ende verdient. Anthony Firkser blieb bei 2 Catches, A. J. Brown konnte keinen Impact mehr haben und Corey Davis hatte am Ende sogar keinen einzigen Catch.
Mit dem Ausscheiden aus der Wild Card war die Saison in Tennessee vorbei, und für Arthur Smith begannen die Interviews bei verschiedenen Teams. Es gab sogar leichte Gerüchte, dass nach dem letzten Spiel bei den Los Angeles Chargers Zweifel aufkamen bezüglich Arthur Smith und sie deswegen davon absahen, ein zweites Gespräch mit ihm zu führen. Gut für die Atlanta Falcons, die sich die Dienste von Arthur Smith sicherten und ihm mit Terry Fontenot das Zepter für einen Neuaufbau des Teams in die Hand gaben.
Zwei harte Jahre für das Front Office
Mit dem Rucksack der "Cap Hölle" dirigierten Arthur Smith und Terry Fontenot zwei Jahre lang die Falcons, für die vorhandenen Verhältnisse, erfolgreich durch die Liga. Ein Roster zusammengewürfelt aus Spielern, die noch vorhanden waren und Spielern, die günstig sind und sonst keiner "wollte" reichte back-to-back zu sieben Siegen und aus vielen Talfahrten von Gefühlen. In der letzten Saison war man sogar lange Zeit auf Playoff Kurs, was sicherlich kein Experte hat kommen sehen. Auch im Podcast der Atlanta Falcons Germany hatten die Wenigstens 7 Siege auf ihrem Zettel.
Arthur Smith verfolgte bereits bei den Tennessee Titans eine klare Vision: ein ausgeklügeltes Scheme für eine lauforientierte Offense, die auf wenig bekannte oder unerfahrene Running Backs setzt. In seiner ersten Saison bei den Falcons setzte er Mike Davis, den Back-up von Christian McCaffrey, Cordarrelle Patterson, einen Kickoff-Returner, sowie Quadree Ollison und Wayne Gallman im Backfield ein. Zusammen erzielten sie 1.451 Rushing Yards.
Nur ein Jahr später legte man noch einen drauf: 2718 Yards erlief man sich bis zum Ende der Saison. Das Backfield wurde dabei ordentlich umgekrempelt. In der Offseason kamen Damien Williams und Caleb Huntley, in der fünften Runde des Drafts bediente man sich bei BYU's Tyler Allgeier, der den Falcons Rookie Rekord einstellte und der im Jahr zuvor gedraftete Cornerback Avery Williams schulte ebenso zum Running Back um. In Addition dessen verpflichtete man Quarterback Marcus Mariota, der für seine Agilität im Laufspiel bekannt war und behielt Cordarelle Patterson. Es war die gefürchteste Run Offense der ganzen NFL.
Das Problem über die Luft
Arthur Smith' Plan ging über die zwei Jahre voll auf. Mit geringen Mitteln wurde eine anschauliche Offense in Atlanta und der NFL aufgebaut. Auf dem Boden wurde eine wahrhaftige Stärke entwickelt, auf die man sich verlassen konnte. So richtig klar wurde es Arthur Smith im letzten Jahr gegen die Cleveland Browns, gleich zu beginn der Saison in Woche 4. Zur Halbzeit stellte er komplett um und im Mic'd up kam der jetzt schon berühmte Satz vom ihm: "Lets run the sh** out of them." Es war der zweite Sieg in Folge, nachdem man in der Vorwoche schon gegen die Seattle Seahawks erfolgreich den Platz verlies.
Die Kehrseite war dann selbstverständlich das Passing Game, was Arthur Smith in zwei Jahren in Atlanta nicht wirklich installieren konnte. Eine Teilschuld muss man ihm wohl geben. Die fehlende Kreativität und das starre Festhalten am 12 oder 22 personell (Nur zwei Wide Receiver auf dem Feld) sind ein großer Teil dessen wieso man am Ende leicht ausrechenbar bei Passversuchen war. Vor allem bei Versuchen wo 3. und lang oft nur zwei Wide Receiver auf das Feld geschickt worden, sorgte oft für Kopfschütteln in der Community. Der fehlende Mut in solchen Situation aggressiver zu Spielen war hier offensichtlich und muss er sich am Ende ankreiden lassen.
Auf der anderen Seite muss man sich den vorhanden Roster, der Arthur Smith zu Verfügung stand, genauer Betrachten bei solchen "Anschuldigungen". In seinem ersten Jahr hatte er mit Matt Ryan, wenn auch in die Jahre gekommen, einen wahren passing Quarterback. Die Position war somit gut besetzt. Das Problem waren hier die Abnehmer. Zur Verfügung standen immerhin Calvin Ridley und Kyle Pitts, der eher X-Receiver als blocking Tight End war. Doch zur Warheit gehört auch, das Calvin Ridley früh in der Saison schon nicht mehr spielte, Grund waren psychische Probleme. Die Tiefe im Roster war auf der Position dann einfach nicht mehr vorhanden.
Vor der Saison trennte man sich von der Franchise Ikone Julio Jones, auch um in den nächsten Jahren Cap freizumachen. So blieb neben Rookie Kyle Pitts nur noch Olamide Zaccheaus, Christian Blake, Russel Gage und Tajae Sharpe. Teilweise fielen sogar Zaccheaus und Gage aus, so dass Rookie Frank Darby und Marvin Hall aus dem Practice Squad das Team komplettierten.
Im letzten Jahr holte man im Draft gleich in der ersten Runde Wide Receiver Drake London, holte zu dem in der Free Agency Damiere Byrd & Bryan Edwards und gab dafür Russel Gage ab. Calvin Ridley war unterdessen gesperrt für ein Jahr. Marcus Mariota ersetzte Matt Ryan, der nach einer Farce um das Buhlen von DeShaun Watson um Freigabe bat. Marcus Mariota galt als Passer eher zum schlechteren Drittel der Liga und war vor allem unter Druck oft überfordert den freien Spieler zu finden.
Best Player Available
Letzte Woche war es dann wieder soweit. Der NFL Draft 2023 öffnete seine Türen in Kansas City und die Atlanta Falcons waren wiedermals an Stelle 8 mit ihrem Pick dran. Dabei standem dem Front Office viele Türen offen. Durch gute und durchdachte Arbeit in der Free Agency wurden viele Needs angegangen. Die Defensive Line wirkt so stark wie seit Jahren nicht mehr und das Backfield wurde aufgebessert mit Jeff Okudah und Jessie Bates. Desmond Ridder, der im Jahr zuvor in der 3. Runde im Draft gezogen worde, bekam die Startposition als Quarterback und Kaleb McGary sowie Chris Lindström bekamen ihre neuen Verträge.
"Wir draften nicht nach Needs" war die klare Ansage von Terry Fontenot und das nicht erst in dieser Saison. Das Schema nach "Best Player Available" wurde schon in den Jahren zuvor angewandt. Mit einem Tight End an 4 und danach einem Wide Receiver an 8, zeigte das Front Offce auf, dass Value etwas für die Statstik ist. So waren die Hoffnung auf Christian Gonzales, Devon Witherspoon oder Tyree Wilson zwar berechtigt unter den Fans, wenn man aber rückblickend tief in sein Innerstes zurückblickt der Pick von Bijan Robinson doch der Offensichtliche.
Es war das offene Geheimnis, dass die Falcons ihn an 8 picken würden und so kam es auch. Nachher kam zwar noch raus, dass man Paris Johnson Jr. noch höher auf den Board hatte, der jedoch schon vorher wegging. So war das Medienecho groß, auch hier in Deutschland und Kritik machte sich breit, Bijan Robinson an 8 sei ein klarer reach des Values. Doch das ist etwas, worauf sich unser Front Office setzt. Er war der beste Nicht-Quarterback in diesem Draft und man hatte Pläne mit ihm und seinem Skillset.
Die Implementierung des Slotreceivers
Drake London ist nicht nur Receiver. "Er hat Bock auf Blocking." das waren die Worte, die ein Angestellter der Falcons letzten Winter unserer Reisegruppe bei einem Gespräch in Atlanta erzählte. Das sind die Eigenschaften, die Arthur Smith für sein Team sucht, immer und jederzeit. Bijan Robinson ist noch nicht der beste Blocker auf seiner Position, verkörpert aber das Wollende. Er ist sich nicht zu Schade in den Block zu gehen und will sich dort auch weiter verbessern. "Ich will diesem sehr, sehr guten rushing Team beitreten, ich will von ihnen lernen und ein guter Teamkamarad sein."
"Wir Glauben an das, was wir hier Aufbauen, dem ganzen Prozess über." sagt Terry Fontenot. "Wir blenden alle Nebengeräsuche dabei aus, wenn wir einen Spieler von unserem Board auswählen. Wir reden darüber variabel zu sein, ohne feste Position zu spielen." Und das ist etwas, das die Atlanta Falcons ausmacht. Hier spielen Kickreturner und Cornerbacks als Running Back, der Tight End X-Receiver und der Quarterback auf Tight End. Positional Value ist dabei ein festgefahrener Gedanke aus vergangenen Zeiten.
Dabei gibt Bijan Robinson einem mehr als nur den Running Back, den man aus Texans Longhorns Zeiten kennt. Mit den Receivern aus seinem College Team spaßte er. Er sei der Spieler mit den besten Händen beim Fangen. "Ich bin stolz darauf, wie ich den Ball fange. Genau so wie ich mit ihm laufe oder für ihn blocke." waren seine Worte nach dem Draft. Intern wird schon von der Installation des Slotreceivers gesprochen. "Ein großer Teil des Draftprozess war, dass er schon Slot spielte." erklärte Arthur Smith. "Offentsichtlich kann er gut mit dem Ball laufen, doch man kann noch andere Wege finden, ihm den Ball zu geben."
Bei den Longhorns spielte er das ein oder andere Mal Receiver, schaut man aber auf die Zahlen kommt es zu einer interessanten Statistik. Nur in 37,5% seiner Receiver Snaps spielte er im Slot, also weitaus mehr in der Wide. Das tut dem Ganzen aber keinen Abbruch. Was den Atlanta Falcons die letzten Jahre fehlte war ein guter Checkdown. Seine Fähigkeit Tackles auszuweichen (104 missed force tackles in einer Saison - Rekord!) und Yards nach dem Fangen zu kreieren (yards after catch 11,7) machen ihn zu einer gefährlichen Waffe.
Simple as possible
Für Arthur Smith ist es die Saison der Wahrheit. Es ist das erste Mal in seiner Laufbahn als Falcons Headcoach, dass er mit großem Budget über den Roster frei verfügen kann. Dabei muss er auch erstamlig beweisen, dass er ein Passing Game implementieren kann, das auf NFL Niveau spielt. Er muss selbst variabler werden im Scheme und Playcalling. In den Spielen der letzen Saison, die verloren worden hatte er und das Team immer die schlechtesten PFF Grades im Laufspiel. Eine Antwort über die Luft hatte er selten gefunden, was aber wie vorher beschrieben zum Teil auch am vorhandenen Quarterback lag.
Nun muss Desmond Ridder beweisen, dass er eine Offense tragen und ein Quarterback ist, der in der NFL spielen kann. Viele Brücken werden ihm dafür gebaut. Kyle Pitts kehrt nach der Verletzung zurück, Scotty Miller und Mack Hollins wurden neu verpflichtet und neben Bijan Robinson kommt noch Matthew Bergeron aus dem Draft, der die Offensive Line auf der Left Guard Position vorerst verstärken wird. Die Segel für Arthur Smith und Desmond Ridder sind dafür gesetzt um von der Insel der Einseitigkeit runterzukommen.
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