Der NFL Draft 2024 ist rum und die Atlanta Falcons haben ihre Wahl getroffen. Also warum sind so viele Fans, Journalisten und TV Moderatoren mit Draftstrategie der Dirty Birds so unzufrieden? Und ganz ehrlich: Was habt ihr erwartet?
Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit
Die glattgebügelte Welt des professionellen Sports ist nicht für jeden Menschen etwas. Egal in welcher Sportart wir uns befinden, die Professionalisierung mit dem Umgang der Medien und Sportreporter ist quasi auf ihrem Höhepunkt. Stammelnde Manager, Wutausbrüche live im TV von Spielern und klare Meinungen zu brisanten Themen sind mittlerweile Mangelware geworden. Jedes größere Sportteam auf der Welt leistet sich heutzutage einen Pressesprecher, wenn ich gar eine ganze Medienabteilung in der eigener Content produziert und verarbeitet wird. In Deutschland wird schon in den Jugendakademien den zukünftigen Pros der "richtige" Umgang mit den Medien gelernt.
Wir sind darauf konditioniert und daran gewöhnt vorgefertigte Antworten auf bestimmte Fragen zu bekommen. Hohle Phrasen, vor allem direkt nach einem Spiel, ohne wirklichen Mehrwert. Pressesprecher verbringen Stunden, manchmal ganze Tage damit, Spieler und Verantwortliche darauf zu trainieren, wie und was in bestimmten Situationen gesagt werden kann. Um so verwunderter sind wir über Abweichungen in Interviews oder Pressekonferenzen. In Zeiten von Social Media gehen solche "Clips" dann auch gerne mal viral.
In der NFL gibt es viele offene Geheimnisse aber noch viel mehr, die vielleicht niemals das Tageslicht erblicken. Eines der am besten gehüteten Geheimnisse der NFL sind die Big Boards der jeweiligen Teams zum Draft. Nur selten erhält man Einblicke und das auch erst nachdem die Messe gelesen ist. Und weil die Strategie der Franchises rund um den alljährlichen Draft ein soß großes Geheimnis ist, nehmen wir die wenigen Worte, die an die Öffentlichkeit gelangen nur selten für bare Münze. Alles Augenwischerei und Ablenkung vom eigentlichen, großen Plan.
»Wir wollen niemals für für eine benötigte Position ("Needs") im Draft zu früh ("reach") eine Auswahl treffen.« Terry Fontenot spricht Ende Januar 2021 bei seiner Einführung als General Manager über seine Arbeitsweise. »Es ist niemals eine schlechte Entscheidung sehr talentierte Spieler zu draften.« Es waren diese zwei Sätze, die Terry Fontenot wie ein Mantra jedes Jahr wiederholt. Und zur Überraschung von vielen hält er sich daran seit vier Jahren. Es ist der vierte Draft von ihm in dem er verdeutlicht, dass diese Sätze kein PR-Gag waren. Er hat schlicht den Medien die Wahrheit erzählt.
Das haben wir schon immer so gemacht
An einem sehr, sehr frühen Morgen im April, ungefähr gegen 03:00 Uhr an einem Freitag, herrschte Unglauben in der Welt der NFL. Rodger Godell verlas in diesem Augenblick die Auswahl, die die Atlanta Falcons an achter Stelle des Draftes tätigten. Es war Michael Penix Jr., Quarterback der Washington University. Der Linkshänder sollte zukünftig der Back-Up und Langzeitlösung nach Kirk Cousins sein. Eine ungewöhnliche und seltene Entscheidung, die Terry Fontenot, Raheem Morris und der Eigentümer der Falcons Arthur Blank trafen.
Keine zwei Monate zuvor statteten sie den ehemaligen Quarterback der Minnsesota Vikings mit einem 180$ Mio. Vertrag aus, in dem 100$ Mio. garantiert waren. Mit ihm sollte das Team wieder in die top Riege der NFL mitmischen und möglichst lange in der Saison um die Lombardi Trophy mitspielen. Was den Atlanta Falcons fehlte, so der öffentliche Tenor, war jediglich ein elitärer Pass Rusher und etwas Hilfe auf der gegenüberliegenden Seite von A. J. Terrell. Doch man entschied sich anders und zwar aus guten Gründen.
Um zu verstehen wieso das Front Office so handelte muss man wissen, wo die handelnden Personen rund um die Franchise herkommen. Die letzten zwei Jahre als Hölle zu bezeichnen wäre eventuell etwas überzeichnet, doch die Entscheidungen, die getroffen wurde auf der Position des Quarterbacks war zumindest mangelhaft. Marcus Mariota undDesmond Ridder bekamen jeder für sich knapp eine Saison in der sie sich beweisen durften. Beide waren nach ihrer Saison nicht einmal mehr im Team der Falcons.
Es ist verwunderlich, wie sorglos und fahrlässig viele Teams der NFL in ihrer zukünftigen Planung der wichtigsten Position umgehen. Zu häufig dauert es Jahre, wenn es schlecht läuft Jahrzehnte (liebe Grüße an die Cleveland Browns), bis die Nachfolge des Quarterbacks geklärt ist. Mit keiner anderen Position gehen die Verantwortlichen so dilettantisch um in der NFL wie - ausgerechnet - mit dem Herzstück jeder Offensive. Die Frage ist: Wieso? Einfach weil es schon immer so gemacht wurde?
Prophylaxe
Nun hat das Front Office der Atlanta Falcons das Rad natürlich nicht neu erfunden. Terry Fontenot selbst bezeichnet es als den "Green Bay Way", die vorsorglich die Nachfolge von Brett Favre und Aaron Rodgers klärten. Das ist ein Weg, den die Verantwortungsträger einschlagen wollen. Diese bewusste Entscheidung führte anfangs zu Unverständnis in der Medienlandschaft - doch nach und nach lichtet sich auch hier langsam das Bild.
Der PFF-Podcast war quasi einer der Ersten, die mehr und tiefer hinterfragten und fachsimpelten. »Das kann eventuell eine geniale Antwort sein. Nimm einen Quarterback, lass ihn für zwei Jahre sitzen und entwickeln. Denn niemand schaut auf Michael Penix Jr. und sagt "Oh schaut, der Typ hat keine Chance."« Die Chance den Quarterback zu entwickeln wurde hier sehr schnell begrüßt.
Dabei kann man über Kirk Cousins denken was man mag. Er gehört sicherlich zur oberen Hälfte der Quarterbacks in der Liga, jedoch hat der 36-Jährige nie wirklich den Status einer der Besten zu sein. Und seine Statistik in den Playoffs ist hingänglich bekannt. Jedoch gehört er zu den intelligenteren Quarterbacks und Michael Penix Jr. kann vieles von ihm lernen - gleichwohl wenn Kirk Cousins nicht den Mentor spielen soll, laut Terry Fontenot. Es gehört Eigeninitiative und Arbeitsethos von ihm dazu, die er laut J. J. McCarthy hat, der ihn bei der Combine als den Fleißigsten unter den Anwesenden adelte.
Das war etwas, das auch das Front Office in ihm sah. Raheem Morris, der sich mit einem ganzen Team, das sich nur mit Quarterbacks beschäftigte schmückte, evaluierte sowohl auf Tape als auch bei einem privaten Workout mit ihm, ihn als eines der top targets für diesen Draft. In einem Artikel der Sports Illustraded sickerte durch, dass man Michael Penix Jr. nicht nur als zweitbesten Quarterback auf dem Zettel hatte sondern als viertbesten Spieler des gesamten Drafts. Man war beeindruckt und überzeugt zugleich und am Abend des Drafts überrascht, dass er an 8. Stelle noch zu haben war.
Pass Rush im Blut
Die Überzeugung für die besten Edge- und allgemein Defensive-Spielern in diesem Jahr war nicht nur bei den Atlanta Falcons nicht groß. Erstmals gingen mit den ersten 14 Auswahlen nur offensiv geprägte Spieler an die Teams, ehe mit Laiatu Latu zu den Indianaplos Colts ein Edger gewählt wurde. Der hochgehandelte Dallas Turner von den Alabama Crimson ging sogar noch zwei weitere Plätze weiter nach hinten. Er galt als der beste Pass Rusher im Draft, was in unserem Podcast schon angezweifelt wurde.
In der zweiten Runde zögerte Terry Fontenot nicht lange. Wie die Jahre zuvor bewies er ein Näschen dafür, den "run" auf eine bestimmte Position zu haben. Waren es die Wide Receiver in 2022, war es hier die Position des Defensive Tackle, die in den darauffolgenden fünf Picks vier Mal ausgewählt wurden. Mit einem Trade Up, über dessen Preis man durchaus diskutieren kann, sicherte man sich die Dienste von Ruke Orhorhoro. Auch nach dieser Auswahl traten die sozialen Medien die Diskussion los, ob es nicht zu früh war für diesen Spieler. Meiner persönlichen Meinung nach: Nein. Den Dienstag zuvor stellte ich ihn in unserem Podcast als drittbesten Tackle dar.
Ruke Orhorhoro selbst war sehr begeistert. Im Telefonat mit dem Front Office war er kaum zu bändigen, die Entscheidungsträger kamen kaum selbst zu Wort. Er selbst beschrieb sich als "Schnell, physisch und aggressiv" also exakt das, wonach Defensive Coordinator Jimmy Lake sucht. Er spielt fast alle Positionen in der Defensive Line, obwohl ich ihn nicht in der NFL als Nose Tackle sehen würde.
Damit war die Suche nach Pass Rush bei den Falcons nicht abgeschlossen. Schon in der nächsten Runde sicherte man sich die Dienste vom Teamkollegen von Michael Penix Jr. und entschied sich für den Edger Bralen Trice. Er galt Anfang des Jahres noch als potenzieller erstrunden Spieler, fiel jedoch - für mich etwas unverständlich - bis in die dritte Runde. Mit ihm wurde sich neben all' den Athleten für einen echten Techniker entschieden, der, ähnlich wie Laiatu Latu, über sein Skillset kommt im Passrush. Letzte Saison war er führend in Quarterback Hurries (81) und hatte damit ein gutes Drittel mehr als der nächstplatzierte (62 - Latu).
Auch im weiteren Verlauf hielt das Front Office an ihrem Big Board fest. Der ebenso etwas gefallene Defensive End Brandon Dorlus - live verkündet durch International Fan of the Year Alesantoz - und Linebacker JD Bertrand komplettierten vorerst die Defense der Falcons, ehe mit der letzten Auswahl (ebenfalls typisch seit dem Regimewechsel 2021) der Georgia Nose Tackle Zion Logue dazustieß. Zwischen den Pick kamen Wide Receiver Casey Washington und Running Back Jase McClellan - trotz Bijan Robinson und Tyler Allgeier (Hallo Best Player Available!).
What did you expect?
Dem aufmerksamen Leser wird aufgefallen sein, dass die Überschrift dieses Artikels falsch gewählt ist. Richtig müsste sie lauten: Was hat euch nach den letzten Jahren dazu veranlasst zu glauben, die Atlanta Falcons würden an diesem Wochenende andere Spieler draften? »Es ist ungewöhnlich weil Niemand es erwartet hatte, oder?« antwortete Terry Fontenot im Interview mit Sports Illustraded. Man fühlt gerade zu, wie zufrieden er mit seiner Auswahl ist und man hört und liest die weite Unterstützung der ganzen Franchise vom Eigentümer bis zum Cheftrainer.
Der General Manager und sein Team sind überzeugt davon das Team mit sofortigem Impact verstärkt zu haben. Der Unglaube ausserhalb Flowery Branch ist da etwas ausgeprägter. Die Frage ist nur, was einen selbst davon die letzten Jahre zur Überzeugung hat, dass beispielsweise Ta'Quon Graham und Kentavius Street gegenüber Ruke Orhorhoro und Brandon Dorlus konkurrenzlos seien? Dies soll nicht bedeuten, ich sähe die beiden Neuen sofort als Starter, jedoch habe ich genug von ihnen gesehen um zu wissen, die Alteingesessenen sollten sich ihrer Sache nicht zu sicher sein.
Ein guter Wettkampf sorgt für das richtige Maß an Spannung innerhalb des Teams und hält die Motivation hoch. Für Kirk Cousins bedeutet es so gut zu spielen, dass er keine Zweifel daran lässt sein Back-Up über Jahre auf der Bank zu lasten. Tyler Allgeier und Bijan Robinson müssen Überzeugend genug sein keine Snaps an den Rookie zu verlieren und die Defensive Line muss sich gegenüber der letzten Jahre strecken. Konkurrenz belebt das Geschäft.
Verinnerlichen wir auch für die Zukunft den angesprochenen Gedankengang von Terry Fontenot. Es ist niemals eine schlechte Entscheidung talentierte Spieler zu draften. Auch wenn die Position bereits gut besetzt ist. Und in der NFL geht es schneller als man denkt, dass man auf der letzten Felge fährt. 66 Quarterbacks spielten alleine letztes Jahr. 66 Quarterbacks auf 32 Franchises. Und die Atlanta Falcons sollen da mit der wichtigsten Position fahrlässig umgehen? Arthur Smith hat diese Entscheidung, die er drei Jahre lang stiefmütterlich so angegangen ist, am Ende wahrscheinlich den Job gekostet.
Dabei muss man es nicht nur dort eskalieren lassen. In der Defensive Line hat es letztes Jahr Grady Jarrett erwischt, der mitten in der Saison für den Rest des Jahres ausfiel. Ihn zu ersetzen war dem Front Office nicht möglich. Dies bedarf keiner Wiederholung. So sicherte man sich dort ab, wie auf Running Back oder der Edge Position. Und zwar mit den besten Spielern, die es zu dem Zeitpunkt, an dieser Stelle im Draft gab.
Dabei verfährt Terry Fontenot seit er bei den Atlanta Falcons das Zepter in der Hand hält zu großen Teil nach einem bestimmten Muster, das er über Jahre verfolgt. "Gesegnet" mit einem Top-10-Pick in jedem seiner Drafts, wird in der ersten Runde strickt BPA gedraftet. Egal wie unpoplär es ist, der Tight oder Running Back wird gewählt, wenn er sich als bester verfügbarer Spieler entpuppt. In der zweiten Runde folgte stets ein Trade, zumeist nach vorne (Bis auf 2021, da ging es zurück - Richie Grant) für Spieler, die man im eigenen Big Board mit einem First Round Talent eingewertet hat.
Die Frage, die sich in diesem Jahr stellte - und wahrscheinlich noch nicht 100% geklärt ist - wie viel Entscheidungsmacht Terry Fontenot diesmal alleinig inne hatte. Laut dem ehemaligen Beat Writer Jeff Schultz (The Athletic), hatte Arthur Smith mehr Mitspracherecht als man von ausserhalb erahnen konnte. Das führte unter anderem dazu, dass man auch von der Verpflichtung von Bill Belicheck absah. Raheem Morris ist natürlich mit involviert im Draft, nur der Umfang seines Stimmrechts ist (noch) nicht bekannt.
Also bleibt uns nur eins. Wir nehmen das, was ihr als Referenz wissen können und wie Terry Fontenot die letzten Jahre verfahren ist im Draft. Und mit dem Wissen bleibt nur eine Frage: What did you excpect?
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